The Beauty of Design

Barbara Benz im Gespräch mit Patrizia Maroso. Moroso ist ein 1952 von Agostino und Diana Moroso gegründetes Unternehmen mit Sitz im norditalienischen Udine. Sein Ansehen als innovatives und trendorientiertes Designunternehmen verdankt es Patrizia Moroso.

Bevor sie in den späten 1970-er Jahren in die Firma ihrer Eltern eintrat, studierte Patrizia Moroso Kunst an der Universität von Bologna. Als Creative Director setzt sie auf den intensiven Austausch mit international renommierten Designern wie Marc Newson, Ross Lovegrove, Ron Arad und Patricia Urquiola. Gleichzeitig fördert sie auch junge Nachwuchstalente. Für viele Kreative ist dies ein Sprungbrett auf die große internationale Designbühne. Aktuell arbeitet Moroso mit 44 Designern aus 22 Ländern zusammen. Barbara Benz traf die erfolgreiche Avantgardistin zum Gespräch im Firmensitz in Udine.

Barbara Benz und Patrizia Moroso
Barbara Benz und Patrizia Moroso

Wie würden Sie die Moroso- Kollektion beschreiben?

Ich erkläre es immer so: Ich liebe die Vielfalt in der Welt und die vielen Möglichkeiten, zu sein und zu leben. Die Idee der Moroso-Kollektion ist, die Schönheit dieses heterogenen, multikulturellen Mix erlebbar zu machen. Wir bringen Möbel und Designobjekte wie Persönlichkeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Gedanken und Erfahrungen zusammen in einen Raum und schon interagieren sie miteinander. Was ich liebe, ist die Kombination aus verschiedenen Dingen und Denkansätzen.

Würden Sie sagen, das ist ist die DNA der Marke?

Ja, unser Ziel ist es, eine vielfältige Welt zu kreieren. Vielfalt ist der Motor unserer Welt. Ohne Vielfalt gibt es keine Evolution. Eine gleiche genetische Gruppe verändert nichts und nichts entwickelt sich weiter. Unterschiede, so glaube ich, befördern die Evolution. Indem wir diese Kollektion von verschiedensten Objekten kreieren, entsteht eine Art verrückter Dialog. Und ein Dialog ist immer etwas sehr Lebendiges. Moroso ist ja nun schon fast 60 Jahre alt. 64, um genau zu sein.

Wie haben Sie es geschafft, aus einem Polstermöbelhersteller eine begehrte Lifestyle-Marke zu machen?

Als meine Eltern das Unternehmen gründeten, waren sie noch sehr jung: Meine Mutter war 17 Jahre alt, mein Vater 21. Sie waren noch nicht verheiratet. Sehr enthusiastisch gründeten sie ihre eigene Firma, nachdem sie zuvor als Angestellte in zwei anderen Polstermöbelfirmen gearbeitet hatten. In ihrer Heimatstadt gab es ein ganzes Viertel mit Handwerksbetrieben, vom Tischler über den Polsterer bis hin zum Raumausstatter. Es war eine harte Zeit nach dem Krieg: Viele Freunde meiner Eltern zogen nach Kanada, Australien oder Südamerika, um Arbeit zu finden. Doch meine Eltern wollten in Italien bleiben. Anfangs war Moroso ein reiner Familienbetrieb, in dem Brüder, Schwestern und Cousins arbeiteten.

Wie wählen Sie die Designer aus, mit denen Sie arbeiten?

Ich versuche, meine Augen und Ohren offen zu halten. Das ist sehr wichtig. Und man muss ein Gespür für Veränderungen entwickeln: was vielleicht mit wem wann und wo entstehen könnte. Die jungen Talente, deren Arbeiten ich Jahr für Jahr in Mailand neu vorstelle, gehen in verschiedenste Richtungen. Ich versuche immer, einen Designer zu finden, dessen Arbeiten sich von jenen unterscheiden, die wir bereits realisiert haben. Das öffnet das Bewusstsein – auch bei mir. Ich möchte immer etwas Neues machen, vor allem, weil ich es liebe, neue Dinge zu entwickeln.

Bekommen Sie oft Post von Designern?

Täglich! Aber manchmal entdeckt man in der Fülle von Zuschriften tatsächlich auch etwas Interessantes. All die jungen Menschen, mit denen ich jetzt schon seit Jahren arbeite, wie zum Beispiel Sebastian Herkner – um einen jungen Deutschen zu nennen – , das ist fantastisch. Ich erinnere mich noch genau an unser erstes Treffen in Köln, das war ganz am Anfang seiner Laufbahn. Kurz nach unserem Meeting wurde er als Designer of the Year geehrt. Er zeigte mir etwas sehr Interessantes und schon ein Jahr später präsentierten wir einen seiner Entwürfe.

Inzwischen produzieren wir jedes Jahr etwas Neues von Herkner: einen Stuhl, eine Afrika-Kollektion, noch keine großen Systeme, aber schöne, interessante Objekte, die unsere großen Sofas perfekt ergänzen. Das Problem ist, ich muss immer ein wenig jonglieren, da wir so viele interessante Designer haben und deshalb nicht mit jedem jedes Jahr arbeiten können. Es gibt nur eine Designerin, mit der wir kontinuierlich arbeiten, das ist Patricia Urquiola. Wir treffen uns regelmäßig, um die Richtung festzulegen, in die wir gehen möchten. Wir überlegen, wie der nächste Stand der Mailänder Möbelmesse aussehen wird und welche Themen anstehen. Rund 80 Prozent unserer Sofas entstehen mit Patricia. Sie ist eine Art Fixstern für das Unternehmen.

Modelle Bohemien und Paper Plans
Modelle Bohemien und Paper Plans

Kannten Sie sich schon vor Ihrer Zusammenarbeit?

Nein. Wir trafen uns zum ersten Mal in einem PR-Büro in Mailand, ganz offiziell mit Terminabsprache, so wie man das gewöhnlich macht. Aber eine gute Freundin hatte mir bereits von Patricia vorgeschwärmt. Sie erzählte mir, sie habe eine Spanierin kennengelernt, die sehr talentiert sei. Es war ein echter Tipp von Frau zu Frau. Ich schätze sehr den Rat unter Frauen. Schon nach dem ersten Treffen mit Patricia wusste ich, dass sich daraus eine gute Freundschaft entwickeln würde und das ist sie bis heute.

Ich fand die richtige Person zur richtigen Zeit, obwohl sie damals noch völlig unbekannt war. Sie hatte einen fantastischen Lebenslauf: Studium bei Achille Castiglioni, den ersten Job bei Maddalena de Padova, dann arbeitete sie im Studio von Vico Magistretti. Als ich sie kennenlernte, war Patricia Chefdesignerin im Studio von Piero Lissoni. Das war perfekt, doch zu diesem Zeitpunkt hätte niemand das Vertrauen in sie gesetzt, ein Projekt mit ihr zu machen.

Wann war das?

1999, vor 18 Jahren.

Bouquet von Tokujin Yoshioka
Bouquet von Tokujin Yoshioka

Patricia kam gerade zur rechten Zeit. Wir arbeiteten mit großen Designern, der Avantgarde, den „Big Names“, sehr extrem, aber in der Produktion wurde kein einziges normales Sofa gefertigt. Auf der einen Seite war das Unternehmen, auf der anderen Seite das verrückte Design. Durch Patricia gelang es, beides zu verbinden und auf einen gemeinsamen Weg zu bringen. Sie begann Sofas zu entwerfen, die nicht klassisch oder Standard waren und trotzdem neu. „Lowland“ war eines unserer ersten gemeinsamen Projekte. Es war überraschend, trotzdem verkauften wir im ersten Jahr kein einziges Stück. Unsere Handelsvertreter beschwerten sich, dass das Sofa nicht verkäuflich sei, doch ich sagte: Wartet.

Schon ein Jahr später war „Lowland“ unser Bestseller. Heute, nach 18 Jahren, ist es nicht mehr ganz so spektakulär, aber es bleibt Teil der Kollektion. Ebenso wie der „Fjord“-Sessel. Wenn man ihn sieht, denkt man sofort an Moroso und an Patricia Urquiola. Das waren auch die ersten Moroso-Stücke, die wir vor zehn Jahren für unseren Showroom einkauften, „Lowland“ und „Smock“. Anfangs waren wir das einzige Unternehmen, das mit Patricia Urquiola arbeitete, dann nach zwei, drei Jahren startete sie durch. Sie brachte uns viele schöne Projekte und verbrachte viel Zeit mit uns. Heute als Art Director für Cassina und in der Zusammenarbeit mit der Poltrona Frau-Group ist sie natürlich ganz anders eingespannt.

Lowland
Lowland

Welches war das bislang spektakulärste Projekt mit einem Designer?

Patricia Urquiola und Ron Arad, die beiden wichtigsten Designer, mit denen wir zusammenarbeiten, überraschen mich immer, selbst wenn Sie ein Standardprodukt entwerfen. Nein, Ron ist niemals Standard. Jeder seiner Entwürfe ist eine Art Skulptur, der künstlerische Aspekt des Entwurfs ist entscheidend. Er ist wirklich genial. Er denkt ganz anders als alle anderen und präsentiert mir Möbel mit einem ganz neuen Ansatz wie zum Beispiel das Schaukel-Sofa „Glider“.

Welches ist Ihr persönliches Lieblingsmöbel?

Eines meiner Lieblingsstücke ist Dolores. Ich erinnere mich noch gut, wie wir es mit Ron Arad entwickelt haben. Dolores ist ein Name – wie auch im Deutschen –, aber eigentlich heißt es Do-lo-Res. Das Prinzip dieses Sofas ist aufgebaut wie ein gepixeltes dreidimensionales Bild. Alle Pixelelemente sind Quadrate und der Kunde entscheidet, welche Farbe und welche Höhe sie haben sollen. Zusammengesetzt ergeben sie eine Landschaft mit Höhen als Armlehnen und Senken, auf denen man sitzt.

Ghinis Sessel Big Mama
Ghinis Sessel Big Mama

Was würden Sie als Moroso-Heritage bezeichnen?

Morosos Erbe ist die handwerkliche Verarbeitung. Es ist ein typisch italienisches Erbe, nicht nur das von Moroso. Es bedeutet, dass wir niemals vergessen, wie man gute Dinge per Hand macht. Jeder hier bei Moroso ist ein exzellenter Handwerker. Jeden Morgen steht ein Stück auf dem Arbeitstisch, das die Kompetenz dieses Unternehmens zeigt, denn unsere Handwerker machen alles. Es ist nicht wie bei anderen Unternehmen, daß die Aufgaben verteilt sind und einer Klick und der andere Klack macht. Das ist nicht unser Ansatz. Jeder arbeitet an einem Stück – vom Anfang bis zum Ende und darauf sind alle sehr stolz. Das eigentliche Erbe besteht also darin, auch wirklich schwierige Herausforderungen in perfekter Handarbeit lösen zu können.

Frau Moroso, vielen Dank für dieses Gespräch.

Die Fertigung bei Moroso
Die Fertigung bei Moroso
Die Mitarbeiter fertigen in Handarbeit
Die Mitarbeiter fertigen in Handarbeit

Photos: ©
Moroso
Gionata Xerra
Alessandro Paderni

 
Mehr Inspiration, mehr Interviews – architare magazin

Hier das gedruckte Heft bestellen info@architare.de
oder als pdf runterladen

to top