Mister Workspace

Globalisierung, Digitalisierung, Demografie – das alles hat die Arbeitsbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten massiv verändert. Doch wie steht es um die Zukunft unserer Arbeitswelt, wollten wir von Rudolf Pütz wissen. Seit mehr als zehn Jahren leitet er die Geschäfte der Vitra GmbH Deutschland. Barbara Benz besuchte ihn auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein und sprach mit ihm über Design, Disruption und Diskretion.

Barbara Benz: Herr Pütz, wie würden Sie Vitra in drei kurzen Sätzen beschreiben?

Rudolf Pütz: Vitra ist neugierig und experimentell, mehr ein Projekt als ein Unternehmen. Die geschäftliche Seite wird ergänzt durch Design, Architektur und Kunst. All diese Themen wirken aufeinander ein, befruchten sich und ergeben etwas Besonderes: das Projekt Vitra.

Worauf begründet sich Vitras Ruf als Innovationsführer?

Vitra entwickelt seit Jahrzehnten Neuheiten: In den 1970er- Jahren, als das Thema der Wohnlichkeit bei den Drehstühlen hinzukam, hat Vitra mit dem Vitramat als erster Hersteller die Synchronmechanik beim Drehstuhl entwickelt. Dann folgten der Figura und der Persona zusammen mit Mario Bellini. Ein weiteres Beispiel ist die Joyn Bench Anfang 2000, die das Arbeiten in großen Räumen völlig verändert hat. Oder dann das Alcove Sofa der Brüder Bouroullec, das wiederum die Art, wie wir Arbeiten, stark beeinflusst hat. Nämlich dass Wohnen und Arbeiten keine Gegensätze mehr sind, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Vitra Campus
Vitra Campus

Welche Design-Philosophie verfolgt das Unternehmen?

Vitra hat eine ganz besondere Art der Zusammenarbeit mit den Designern. Wir suchen uns die kreativsten Köpfe aus, die es weltweit gibt. Das sind unsere Autoren. Sie haben einen hohen Freiheitsgrad in der Entwicklung. Wir diskutieren Themen und daraus entstehen Projekte. Die Designer bringen ihre persönliche Haltung und ihre Sicht auf die Welt in die Produkte mit ein. Dadurch entstehen Produkte, die einen hohen Wiedererkennungswert haben und damit auch das Potenzial, zu Blockbustern zu werden.

Wie wird sich unsere Arbeitswelt in den nächsten 20 Jahren verändern?

Sie wird sich drastisch verändern, da die Digitalisierung zu einer starken Veränderung der Geschäftsmodelle führen wird. Das wird schneller gehen, als viele denken. Ich komme gerade von einer Tour durch die USA zurück. Wir waren eine Woche an der Ost- und an der Westküste unterwegs. Wir haben gesehen, mit welcher Geschwindigkeit und welch einem starken Willen dort Disruption betrieben wird. Kollaboration, mobiles Arbeiten und Flexibilität werden folglich zu einem Standard. Das wirkt auch unmittelbar auf den Arbeitsort ein. Neben dem Büro wird es ganz selbstverständlich viele andere Arbeitsorte geben.

Fabrikgebäude auf dem Vitra Campus
Fabrikgebäude auf dem Vitra Campus

Waren Sie bei Google in den Arbeitsräumen?

Im Unternehmen nicht, aber wir haben es uns von außen angeschaut. Aber die Trends sind überall gleich. Die Vielfalt oder das Thema Bewegung:

Space should make people move, space should link teams, space should be beautiful,

das Thema Wellbeing, eine schöne Atmosphäre. Das ist ein ganz großes Thema, weil man dadurch Talente gewinnen möchte.

Haben Sie auch die Spheres von Amazon gesehen?

Ich war auf der Baustelle in Seattle und habe das Modell bei NBBJ gesehen, die den Bau betreuen. Die gigantischen Glaskugeln beherbergen 150 000 Pflanzen. Alle können hineingehen, dort arbeiten, aber auch ihren Hund Gassi führen oder sich ins Restaurant setzen. Die Spheres machen nur 4 % der Gesamtarbeitsfläche aus, aber alle sprechen darüber.

Daneben stehen zwei riesige Hochhäuser und eine große Veranstaltungshalle, über die spricht niemand. Das macht Jeff Bezos grandios. Wir waren übrigens auch ein paar Kilometer weiter in Redmond bei Microsoft. Dessen Campus liegt in der Natur, während Amazon seinen Urban Campus nun in Seattle baut, weil die jungen Leute lieber in der Stadt sind.

Was ist heute die größte Herausforderung für Sie?

Die Sensibilisierung der Kunden für diese Veränderung. Ihnen zu vermitteln, dass Workspace eine völlig neue Funktion erhält. Dass er eine strategische Ressource ist, die zeigt, wie kreativ ein Unternehmen und wie attraktiv es für Talente ist, wie Innovation gemanagt und wie schnell und flexibel gearbeitet wird.

Im Prinzip würden ja die Arbeitsplätze kleiner werden, wenn jeder mit dem Mobile Device arbeitet, oder?

Die Arbeitsplätze an sich werden kleiner, aber die Angebote drumherum werden viel, viel größer. Es ist ganz selbstverständlich, dass man in einen Meeting Room geht, der wie ein Wohnzimmer aussieht, dass man sich in ein Shelter zurückzieht, wenn man konzentriert arbeiten will. Oder dass es eine Town Hall gibt, wo alle Menschen eines Unternehmens zusammenkommen, um sich auszutauschen oder wenn der Chef eine Ansprache hält. Dass es Bereiche gibt, wo man einfach nur spielt, ob das nun Tischtennis oder Kicker ist.

Die Vielseitigkeit macht es aus. Die Mitarbeiter haben die Wahl zwischen verschiedenen Optionen, mit denen sie arbeiten können. Das führt nicht zu einer Flächeneinsparung, sondern zu einer völlig anderen Aufteilung und Landschaft.

Wie werden die verschiedenen Generationen mit den veränderten Anforderungen fertig?

Das Büro ist ein Raum der Transformation. Die verschiedenen Generationen lernen und profitieren voneinander. Doch die momentane Veränderung ist ein kulturelles Thema und hat nicht allein etwas mit dem Alter zu tun. Bei uns ist es von Vorschriften, Betriebsräten und Gewerkschaften bestimmt. Doch die Realität ist schon viel weiter als unsere Vorschriften. Der Ergonomiebegriff muss neu definiert werden, weil es nicht allein darum geht, ob ich gut sitze. Menschen müssen sich bewegen, dann entstehen Innovationen.

Wie werden Sie auch zukünftig Ihre Position als Innovationsführer halten?

Ein Schlüsselthema wird der kuratierte Raum sein. Er ist sozusagen maßgeschneidert für uns, da wir mit unseren Designern ganz unterschiedliche Stilrichtungen realisieren. Aber es wird auch andere Angebote geben. Das System Hack von Konstantin Grcic zum Beispiel und die hochflexible Nutzung von Räumen. Ich glaube, wir müssen uns Gedanken machen, ob wir zukünftig Dinge nur verkaufen oder diese zum Beispiel auch temporär zur Verfügung stellen.

Aufgrund der Nachhaltigkeit werden Themen wie Second Circle an Bedeutung gewinnen. Das ist gut für Vitra.

Durch die Klassiker und die Langlebigkeit der Produkte sind wir dafür prädestiniert

Alcove Sofa der Brüder Bouroullec
Alcove Sofa der Brüder Bouroullec

Wir befinden uns hier im Vitra Haus, in dem auch die Home Collection untergebracht ist.

Vitra-Produkte sind transversal, sowohl für den Office- als auch für den Wohnbereich.

Sehen Sie Vitra noch als Spezialist für Office-Einrichtung? Oder sind Sie auf dem besten Weg, die international begehrteste Einrichtungsmarke zu werden?

Vitra-Produkte sind transversal, sowohl für den Office- als auch für den Wohnbereich. Das kommt der aktuellen Entwicklung der Work-Life-Integration entgegen. Zukünftig wird nicht mehr zwischen Arbeit und Leben unterschieden.

Wie wichtig ist der Designer für die Marke?

Wir arbeiten mit internationalen Designern und Künstlern zusammen, die unseren Campus unter anderem als Architekten gestalten. Damit werden internationale Kulturen mit ihrem Einfluss spürbar. Das beeinflusst natürlich auch die Marke, das Denken und es führt dazu, dass die Produkte eine internationale Gültigkeit haben. Insofern ist diese Zusammenarbeit von ganz großer Bedeutung.

Designer
Designer

Was verbirgt sich hinter Vitras Workspace?

Der Workspace ist ein großer Raum, in dem wir unsere komplette Kompetenz im Office darstellen. Es ist der Showroom für unsere B2B Kunden mit allen Produkten für den Arbeitsplatz, die Wartezone, Tische und Stühle. Darüber hinaus ist es auch ein Raum, in dem Workshops und Vorträge über die neuesten Entwicklungen im Büro gehalten werden, wo man sich mit Materialien und allen Themen rund um das Office auseinandersetzen kann, über die Entwicklung des Büros und die wichtigsten Einflussfaktoren.

Gehören Sie auch schon zu den Desk Sharern?

Ich arbeite an einem Joyn-Tisch und sitze auf einem Physix-Stuhl. Ich dachte, den würde ich mal testen, jetzt sitze ich schon lange darauf. Der Arbeitsplatz ist mir zugewiesen, aber wenn ich unterwegs bin, kann auch jeder andere daran arbeiten. Seit zehn Jahren lebe ich in meiner Organisation und kann mir nicht mehr vorstellen, in eine Zelle zu gehen und mich wegsperren zu lassen. Ich spüre jeden Tag, welche Vorteile das hat.

An welchem Vitra-Möbel arbeiten Sie am liebsten?

Im Unternehmen ist es mein Joyn-Tisch, zu Hause mein Esstisch, ein Eames Conference Table. Da kommen auch einige Stunden zusammen.

Welche anderen Vitra-Modelle findet man bei Ihnen zu Hause?

Ich gehe da lieber mal auf die besonderen Stücke ein: das Sideboard Kast von Maarten Van Severen, dann der LCW in Kuhfell und was natürlich nicht fehlen darf, ist der Lounge Chair in der klassischen Ausführung Palisander, Leder schwarz. Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels, in einer Zeit, die sehr „konsumig“ ist.

Ich wünsche mir, dass die Menschen bewusst kaufen

 

Dass sie im Büro und für sich zu Hause Produkte auswählen, an denen sie Freude haben, die langlebig, nachhaltig und natürlich sind. Das bringt mehr Lebensqualität, mehr Zufriedenheit und ist für die gesamte Gesellschaft positiv. Dieses Bewusstsein wünsche ich mir bei viel mehr Menschen.

Wer ist Ihr ganz persönlicher Lieblingsdesigner?

Natürlich kommt man nicht um Charles und Ray Eames herum, die grandios waren.

Die allerbesten Designer des letzten Jahrhunderts wahrscheinlich. Von den zeitgenössischen mag ich Ronan und Erwan Bouroullec, weil sie äußerst kreativ und vielseitig sind. Man spürt die Poesie des Details, zum Beispiel bei einem Alcove Sofa. Gutes Design macht Freude. Und ihre Produkte machen einfach Freude, wenn man sie anschaut.

Welcher Ort begeistert Sie derzeit am meisten?

Ich komme ja viel rum, deshalb ist mein Lieblingsort ein Rückzugsort: mein kleines Wochenendhäuschen an einem See in der Wetterau.

Und welche Stadt?

Was mich zuletzt beeindruckt hat, war San Francisco mit dem Fahrrad zu entdecken. Dann war ich gerade in Helsinki, der Design District dort war eine echte Entdeckung für mich.

Herr Pütz, vielen Dank für dieses Gespräch

Rudolf Pütz und Barbara Benz
Rudolf Pütz und Barbara Benz

Photos: ©
Vitra
Michael Hudler
Daniel Ansidei 
Gehry Factory
Julien Lanoo

 
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