Im Gespräch mit Barbara Benz erzählt Patrizia Moroso, was sie als Kreativ Direktorin von Moroso antreibt, was die besondere DNA der 1952 gegründeten Familienunternehmens ausmacht und wie sie vor über 20 Jahre Patricia Urquiola – die damals noch unbekannte Designerin entdeckt hat.
Ziel von Moroso ist es, eine vielfältige Welt zu kreieren
Wie würden Sie die Moroso-Kollektion beschreiben?
Ich erkläre es immer so: Ich liebe die Vielfalt in der Welt und die vielen Möglichkeiten, zu sein und zu leben. Die Idee der Moroso-Kollektion ist, die Schönheit dieses heterogenen, multikulturellen Mix erlebbar zu machen. Wir bringen Möbel und Designobjekte wie Persönlichkeiten mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Gedanken und Erfahrungen zusammen in einen Raum und schon interagieren sie miteinander. Was ich liebe, ist die Kombination aus verschiedenen Dingen und Denkansätzen.
Würden Sie sagen, das ist die DNA der Marke?
Ja, unser Ziel ist es, eine vielfältige Welt zu kreieren. Vielfalt ist der Motor unserer Welt. Ohne Vielfalt gibt es keine Evolution. Eine gleiche genetische Gruppe verändert nichts und nichts entwickelt sich weiter. Unterschiede, so glaube ich, befördern die Evolution. Indem wir diese Kollektion von verschiedensten Objekten kreieren, entsteht eine Art verrückter Dialog. Und ein Dialog ist immer etwas sehr Lebendiges. Moroso ist ja nun schon fast 70 Jahre alt. 67, um genau zu sein.
Die idee der moroso-kollektion ist, die schönheit dieses heterogenen, multikulturellen mix darzustellen.
Wie waren die Anfänge von Moroso?
Als meine Eltern das Unternehmen gründeten, waren sie noch sehr jung: Meine Mutter war 17 Jahre alt, mein Vater 21. Sie waren noch nicht verheiratet. Sehr enthusiastisch gründeten sie ihre eigene Firma, nachdem sie zuvor als Angestellte in zwei anderen Polstermöbelfi rmen gearbeitet hatten. In ihrer Heimatstadt gab es ein ganzes Viertel mit Handwerksbetrieben, vom Tischler über den Polsterer bis hin zum Raumausstatter. Es war eine harte Zeit nach dem Krieg: Viele Freunde meiner Eltern zogen nach Kanada, Australien oder Südamerika, um Arbeit zu fi nden. Doch meine Eltern wollten in Italien bleiben. Anfangs war Moroso ein reiner Familienbetrieb, in dem Brüder, Schwestern und Cousins arbeiteten. Wie wählen Sie heute die Designer aus, mit denen Sie arbeiten? Ich versuche, meine Augen und Ohren o en zu halten. Das ist sehr wichtig. Und man muss ein Gespür für Veränderungen entwickeln: was vielleicht mit wem wann und wo entstehen könnte. Die jungen Talente, deren Arbeiten ich Jahr für Jahr in Mailand neu vorstelle, gehen in verschiedenste Richtungen. Ich versuche immer, einen Designer zu fi nden, dessen Arbeiten sich von jenen unterscheiden, die wir bereits realisiert haben. Das ö net das Bewusstsein – auch bei mir. Ich möchte immer etwas Neues machen, vor allem, weil ich es liebe, neue Dinge zu entwickeln.
Bekommen Sie oft Post von Designern?
Täglich! Aber manchmal entdeckt man in der Fülle von Zuschriften tatsächlich auch etwas Interessantes. All die jungen Menschen, mit denen ich jetzt schon seit Jahren arbeite, wie zum Beispiel Sebastian Herkner – um einen jungen Deutschen zu nennen – , das ist fantastisch. Ich erinnere mich noch genau an unser erstes Tre en in Köln, das war ganz am Anfang seiner Laufbahn. Kurz nach unserem Meeting wurde er als Designer of the Year geehrt. Er zeigte mir etwas sehr Interessantes und schon ein Jahr später präsentierten wir einen seiner Entwürfe.
Welches war das bislang spektakulärste Projekt mit einem Designer?
Patricia Urquiola und Ron Arad, die beiden wichtigsten Designer, mit denen wir zusammenarbeiten, überraschen mich immer, selbst wenn Sie ein Standardprodukt entwerfen. Nein, Ron ist niemals Standard. Jeder seiner Entwürfe ist eine Art Skulptur, der künstlerische Aspekt des Entwurfs ist entscheidend. Er ist wirklich genial. Er denkt ganz anders als alle anderen und präsentiert mir Möbel mit einem ganz neuen Ansatz wie zum Beispiel das Schaukel-Sofa „Glider“.
Inzwischen produzieren Sie beinahe jedes Jahr etwas Neues von Herkner?
Ja, wir haben einiges mit Sebastian Herkner produziert. Den Pipe Sessel, das Pipe Sofa, eine Afrika-Kollektion, noch keine großen Systeme, aber schöne, interessante Objekte, die unsere großen Sofas perfekt ergänzen. Das Problem ist, ich muss immer ein wenig jonglieren, da wir so viele interessante Designer haben und deshalb nicht mit jedem jedes Jahr arbeiten können. Es gibt nur eine Designerin, mit der wir kontinuierlich arbeiten, das ist Patricia Urquiola. Wir tre en uns regelmäßig, um die Richtung festzulegen, in die wir gehen möchten. Wir überlegen, wie der nächste Stand der Mailänder Möbelmesse aussehen wird und welche Themen anstehen. Rund 80 Prozent unserer Sofas entstehen mit Patricia. Sie ist eine Art Fixstern für das Unternehmen.
Kannten Sie Patricia Urquiola schon vor Ihrer Zusammenarbeit?
Nein. Wir trafen uns zum ersten Mal in einem PR-Büro in Mailand, ganz o ziell mit Terminabsprache, so wie man das gewöhnlich macht. Aber eine gute Freundin hatte mir bereits von Patricia vorgeschwärmt. Sie erzählte mir, sie habe eine Spanierin kennengelernt, die sehr talentiert sei. Es war ein echter Tipp von Frau zu Frau. Ich schätze sehr den Rat unter Frauen. Schon nach dem ersten Tre en mit Patricia wusste ich, dass sich daraus eine gute Freundschaft entwickeln würde und das ist sie bis heute.
War Patrica Urquiola damals schon bekannt?
Nein, sie war noch völlig unbekannt. Aber sie hatte einen fantastischen Lebenslauf: Studium bei Achille Castiglioni, den ersten Job bei Maddalena de Padova, dann arbeitete sie im Studio von Vico Magistretti. Als ich sie kennenlernte, war Patricia Chefdesignerin im Studio von Piero Lissoni. Das war perfekt, doch zu diesem Zeitpunkt hätte niemand das Vertrauen in sie gesetzt, ein Projekt mit ihr zu machen.
Wann war das?
1999, vor 20 Jahren. Patricia kam gerade zur rechten Zeit. Wir arbeiteten mit großen Designern, der Avantgarde, den „Big Names“, sehr extrem, aber in der Produktion wurde kein einziges normales Sofa gefertigt. Auf der einen Seite war das Unternehmen, auf der anderen Seite das verrückte Design. Durch Patricia gelang es, beides zu verbinden und auf einen gemeinsamen Weg zu bringen. Sie begann Sofas zu entwerfen, die nicht klassisch oder Standard waren und trotzdem neu. „Lowland“ war eines unserer ersten gemeinsamen Projekte. Es war überraschend, trotzdem verkauften wir im ersten Jahr kein einziges Stück. Unsere Handelsvertreter beschwerten sich, dass das Sofa nicht verkäufl ich sei, doch ich sagte: Wartet.
Was passierte dann mit dem Sofa „Lowland“?
Schon ein Jahr später war „Lowland“ unser Bestseller. Heute, nach 20 Jahren, ist es nicht mehr ganz so spektakulär, aber es bleibt Teil der Kollektion. Ebenso wie der „Fjord“-Sessel. Wenn man ihn sieht, denkt man sofort an Moroso und an Patricia Urquiola. Das waren auch die ersten Moroso-Stücke, die wir vor zwölf Jahren für unseren Showroom einkauften, „Lowland“ und „Smock“. Anfangs waren wir das einzige Unternehmen, das mit Patricia Urquiola arbeitete, dann nach zwei, drei Jahren startete sie durch. Sie brachte uns viele schöne Projekte und verbrachte viel Zeit mit uns. Heute als Art Director für Cassina und in der Zusammenarbeit mit der Poltrona Frau-Group ist sie natürlich ganz anders eingespannt.
Es ist ein typisch Italie-nisches erbe, nicht nur das von moroso, niemals zu vergessen, wie man gute dinge per hand macht.
Welches ist Ihr persönliches Lieblingsmöbel?
Eines meiner Lieblingsstücke ist „Dolores“. Ich erinnere mich noch gut, wie wir es mit Ron Arad entwickelt haben. Dolores ist ein Name – wie auch im Deutschen –, aber eigentlich heißt es Do-lo-Res. Das Prinzip dieses Sofas ist aufgebaut wie ein gepixeltes dreidimensionales Bild. Alle Pixelelemente sind Quadrate und der Kunde entscheidet,
Was würden Sie als Moroso-Heritage bezeichnen?
Morosos Erbe ist die handwerkliche Verarbeitung. Es ist ein typisch italienisches Erbe, nicht nur das von Moroso. Es bedeutet, dass wir niemals vergessen, wie man gute Dinge per Hand macht. Jeder hier bei Moroso ist ein exzellenter Handwerker. Jeden Morgen steht ein Stück auf dem Arbeitstisch, das die Kompetenz dieses Unternehmens zeigt, denn unsere Handwerker machen alles. Es ist nicht wie bei anderen Unternehmen, dass die Aufgaben verteilt sind und einer Klick und der andere Klack macht. Das ist nicht unser Ansatz. Jeder arbeitet an einem Stück – vom Anfang bis zum Ende und darauf sind alle sehr stolz. Das eigentliche Erbe besteht also darin, auch wirklich schwierige Herausforderungen in perfekter Handarbeit lösen zu können.
Frau Moroso, vielen Dank für dieses Gespräch.