Allein der Schattenwurf ist ein Traum

...schwärmt Tilla Goldberg. Die Designerin, die seit 2009 Mitglied der Ippolito Fleitz Group ist, hat die Kollektion aus modernen Klassikern und zeitgenössischen Design des Unternehmens Classicon um einen genialen Entwurf erweitert. Stuhl und Lounge Chair Aërias interpretieren das bekannte Muster des Wiener Geflechts neu – modern und zugleich luxuriös, mit edlem Leder und verändertem Maßstab. Barbara Benz traf Tilla Goldberg in der Werkstatt der in Stuttgart ansässigen Ippolito Fleitz Group zum Gespräch.

Barbara Benz: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Classicon?

Tilla Goldberg: Im Jahr 2014 haben wir für Classicon zunächst den Pegasus Home Desk entworfen, einen kleinen Arbeitstisch für das Wohnumfeld, in dem alle digitalen Geräte untergebracht werden können. Vier Jahre später bekamen wir den Auftrag, einen Stuhl passend zum Tisch Pegasus zu entwerfen.

Ist es eine besondere Ehre als Designer für Classicon zu arbeiten?

Auf jeden Fall. Das Unternehmen von Oliver Holy zeichnet sich durch eine kleine, feine und sehr luxuriöse Kollektion aus. Wer möchte hierfür nicht gerne etwas Einzigartiges schaffen? Für den Stuhl und den gleichnamigen Lounge Chair Aërias haben wir mit den besten Handwerkern zusammengearbeitet und gemeinsam mit ihnen immer wieder die Grenzen der Verarbeitungstechniken gesprengt.

Was sind die Besonderheiten des Stuhls und des Lounge Chairs Aërias?

Sie zeichnen sich beide durch ihren ganz besonderen Sitzkomfort aus. Er ergibt sich durch das Spannen von Lederbändern über die ausgefräste Formholzschale, die an sich schon sehr komfortabel ist. Dank des Ledergeflechts entstehen gefederte Minimalflächen, die die Bewegungen des Körpers aufnehmen und das Sitzen und Anlehnen besonders angenehm machen. Optisch sorgen die großen Löcher für die tolle Luftigkeit, die das Hauptfeature an diesem Entwurf ist. Aërias bringt eine faszinierende grafische Ebene in den Raum. Das schafft kein anderer Stuhl! Alleine der Schattenwurf ist ein Traum (lacht).

Ein Tisch, ein Stuhl, ein Lounge Chair – gibt es ein weiteres Möbel, das Sie gerne entwerfen würden?

Ich finde Betten sind ein sehr spannendes Thema für uns Designer. Ihre Funktion hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Es hat eine Verlagerung vom Sofa hin zum Bett stattgefunden. Für junge Menschen ist das Bett oft sogar das Zentrum ihres Lebens. Ein sinnlicher aber funktionaler Ort. Beinahe ein eigener Raum. Hier sehe ich die Möglichkeit spannende, neue und intelligente Konzepte zu entwickeln.

Der Aërias Loungechair strahlt eine elegante Leichtigkeit aus
Der Aërias Loungechair strahlt eine elegante Leichtigkeit aus

Als ich zu studieren anfing, glaubte ich, mit Produktdesign könne man die Welt retten, zu mindestens ein wenig besser machen.

Was ist generell Ihr Anspruch als Produktdesignerin?

Als ich zu studieren anfing, glaubte ich, mit Produktdesign könne man die Welt retten, zu mindestens ein wenig besser machen. Das Thema meiner Diplomarbeit war ein solarbetriebenes Passagierschiff, das bis heute auf dem Bodensee fährt. Schnell merkte ich aber, dass es nicht einfach ist, Dinge zu entwerfen, die die Welt nachhaltig verändern können. Als Designer entwirft man entweder etwas Allgemeingültiges und Erschwingliches, das viele Menschen erreicht, oder etwas Aufwändiges, das eine bestimmte Zielgruppe nachhaltig fasziniert. Mein Solarschiff begeisterte die Menschen vor allem dadurch, dass es nur durch die Kraft der Sonne flüsterleise über den See schwebt. Oft gestaltet man gar nicht so sehr das Produkt, sondern den Moment, der direkt ins Herz geht. Ein Grund, weshalb ich glücklich bin Teil der Ippolito Fleitz Group zu sein, bei der es immer um die Repräsentation der Identität geht – sei es um die Identität eines Unternehmens oder einer Einzelperson.

Genial konzipiert: der Pegasus Home Desk von Classicon
Genial konzipiert: der Pegasus Home Desk von Classicon
Hanging Garden – entwickelt für den Messestand von Walter Knoll
Hanging Garden – entwickelt für den Messestand von Walter Knoll

Sie sind seit 2009 Mitglied der Geschäftsleitung der Ippolito Fleitz Group, die „identity architects“ sind. Können Sie uns kurz erklären, was man darunter verstehen kann?

Gerne. Als „identity architects“ entwickeln wir für unsere Kunden und Auftraggeber Architektur, Produkte und Kommunikation, die zwar Teil eines Ganzen, gleichzeitig aber auch einzigartig und unverwechselbar sind.

Welches Ihrer Projekte ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Letztendlich ist, wie gesagt, jeder unserer Aufträge einzigartig und unverwechselbar. Aber natürlich gibt es herausragende Projekte, die für immer in Erinnerung bleiben. Dazu gehört der „Palace of International Forums Uzbekistan“ im Zentrum Taschkents, der das wichtigste Repräsentationsgebäude des Landes ist. Es dient als Plattform für Staatsakte, Kongresse, Konferenzen und kulturelle Höhepunkte. Unsere Aufgabe war es, einen ganzen Staat in nur einem Gebäude zu präsentieren. Wir haben hierfür traditionelle Elemente usbekischer Architektur modern und zeitgenössisch interpretiert. Die größte Herausforderung war aber, dass wir nur sechs Monate Zeit hatten, das Projekt zu realisieren. Unsere Pläne wurden zum Teil sofort vor Ort, auf der Baustelle mit 5000 Mann umgesetzt.

Werkstattgespräch: Tilla Goldberg und Barbara Benz
Werkstattgespräch: Tilla Goldberg und Barbara Benz

Zum Schluss noch eine Zukunftsprognose: Wohin geht der Trend beim Thema Wohnen?

Für mich ist Individualität das Thema, das in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Den Grund hierfür sehe ich in dem immer größer werdenden Anteil der gleichmachenden digitalen Welt in unserem Leben und den allgemeingültigen Sharing Konzepten. Sie bewirken, dass unsere Sehnsucht nach einem individuellen Rückzugsort immer größer wird. Wir wünschen uns einen „safe harbour“, an dem wir uns mit echten persönlichen Dingen umgeben können. Einen Ort, der für unsere individuelle Identität steht. Auch ich umgebe mich am liebsten mit den Dingen, die ich von Reisen mitgebracht habe oder die mich schon sehr lange begleiten, also Gegenständen, die Teil meiner Persönlichkeit sind, meine Erinnerungen konservieren.

FÜR MICH IST INDIVIDUALITÄT DAS THEMA, DAS IN ZUKUNFT WEITER AN BEDEUTUNG GEWINNEN WIRD. DEN GRUND HIERFÜR SEHE ICH IN DEM IMMER GRÖSSER WERDENDEN ANTEIL DER GLEICHMACHENDEN DIGITALEN WELT IN UNSEREM LEBEN UND DEN ALLGEMEINGÜLTIGEN SHARING KONZEPTEN.

Die Innenräume des Palace of International Forums „Uzbekistan“
Die Innenräume des Palace of International Forums „Uzbekistan“
Zeitgemäße Formen treffen auf traditionelle Elemente usbekischer Architektur
Zeitgemäße Formen treffen auf traditionelle Elemente usbekischer Architektur
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