Unsere Arbeitswelt unterliegt großen Veränderungen. Das hat Auswirkungen auf die Organisation unserer Arbeit, aber auch auf die Gestaltung unserer Büros. Wo wir in Zukunft arbeiten und warum die Möbel zu „Ermöglichern des Wandels“ werden, erklärt Franz Kühmayer, Experte für das Thema „Zukunft der Arbeit“ und Trendforscher beim Zukunftsinstitut in Wien.
Das Office der Zukunft soll ein Kultort sein
architare: Eine Zeitlang sah es so aus, als wäre das Büro, in das man morgens fährt und das man abends wieder verlässt, ein Auslaufmodel. Mittlerweile haben Unternehmen wie IBM und Yahoo, die als Pioniere in Sachen Homeo ce galten, ihre Mitarbeiter in ihre Firmenzentralen zurückgerufen. Warum? Ist das Konzept Homeoffice gescheitert?
Franz Kühmayer: Nein, das Modell ist nicht gescheitert, Arbeitskräfte sind zunehmend mobil, ortsungebunden und gerade das Homeoffice erfreut sich großer Beliebtheit: Eine Studie der renommierten Unternehmensberatung Deloitte hat kürzlich erhoben, dass 85 Prozent jener Menschen, die bereits mindestens einen Tag aus dem Homeoffice arbeiten, weiterhin und sogar häufiger so arbeiten möchten, und umgekehrt 29 Prozent derjenigen, die noch nicht das Homeoffice nutzen, dies gerne tun würden. Die Kehrseite ist natürlich die dadurch ausgelöste Fragmentierung der Arbeitswelt und die geringer werdenden Kohäsionskräfte. Dem mit Zwang entgegenzutreten, halte ich allerdings für den falschen Ansatz. Neben IBM und Yahoo gibt es auch andere, die die Entwicklung bestätigen. So hat beispielsweise Automatic, das Unternehmen hinter der Webplattform Wordpress, unlängst sein frisch renoviertes Büro in San Francisco geschlossen, weil die Mitarbeiter zu selten vor Ort waren. Man kann also sagen: Während IBM und Yahoo zurück zur Anwesenheitsp icht pfeifen, gewähren andere mehr Freiheit und übertragen ihren Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung. Da zeigt sich auch die Unternehmenskultur, übrigens auch bei jenen, die das Yahoo-Beispiel voller Schadenfreude weiterverbreiten.
UM SEINE GRAUEN ZELLEN ANZUSTRENGEN, MUSS MAN NICHT IN EINER GRAUEN
ZELLE SITZEN – IM GEGENTEIL.
Laut Umfragen sollen ja nur 6 Prozent der Menschen ihre besten Ideen am Arbeitsplatz haben, was bedeutet das für das Office der Zukunft? Müssen wir Arbeit vollkommen neu denken?
Diese Zahl ist umso erschreckender, wenn man bedenkt, dass wir im Innovationszeitalter leben, in dem die Kreativität der Mitarbeiter so entscheidend ist. Offenbar empfindet nur ein sehr geringer Teil der Menschen das Büro in seiner heutigen Form als Innovationszentrum. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen wird Innovation häufig an scharf abgegrenzte Organisationsteile delegiert – dort entsteht dann eine Expertokratie, während die Ideen des großen Teils der Mitarbeiter in Wirklichkeit gar nicht wertgeschätzt werden. Zudem sind die Unternehmenskultur und das Führungsverständnis noch im industriellen Zeitalter stecken geblieben und können mit disruptiven Vorgehensmodellen nicht umgehen. Und schließlich müssen wir anerkennen, dass die Architektur von Büros ebenfalls zu wünschen übrig lässt: Wenn das Gebäude auf strenge Arbeitsteiligkeit und reibungslose Prozesse getrimmt ist statt auf Zusammenarbeit und Austausch, darf man sich nicht wundern, wenn Menschen eher außerhalb des Büros ihre Inspiration finden.
Was raten Sie Unternehmen, die heute neu bauen?
Um seine grauen Zellen anzustrengen, muss man nicht in einer grauen Zelle sitzen – im Gegenteil. Das Büro der Zukunft lässt sich daher nicht auf seine rein funktionalen Aufgaben reduzieren, sondern soll ein Kultort sein, an dem Unternehmenskultur spürbar, erlebbar wird, ein Ort, der anziehend wirkt. Stationäre Arbeitsplätze für Einzelproduktivität weichen zunehmend Flächen der Vernetzung, das Büro verfügt über unterschiedliche Räume, die zum Lernen, Entspannen, Konzentrieren, Brainstormen und Kommunizieren einladen. Themen wie Gemeinschaft, Gesundheit, Mobilität und Zugang zu Dienstleistungen, die den Alltag vereinfachen, erweitern dieses Arbeitsumfeld. Der Einzelne wird sich dabei das zusammenstellen, was für ihn in der aktuellen Situation gerade relevant ist. Das fordert ein höheres Maß an vielfältigen Optionen als bisher – die größte Herausforderung dabei ist es, eine Umgebung zu schaffen, die Stabilität gibt und sich, bei Bedarf, dennoch schnell anpassen kann.
An welchen räumlichen Strukturen erkennen Unternehmen, dass es Zeit für Erneue- rung ist?
Ein Indiz, das mir in der Beratung häufig begegnet: unbesetzte Schreibtische auf der einen Seite, knackevoll überbuchte Meetingräume auf der anderen Seite. Dazu kommt das Phänomen der Büroflucht: Mitarbeiter haben das Gefühl, ihre „eigentliche“ Arbeit nur dann erledigen zu können, wenn frühmorgens noch niemand da ist, oder spätabends, wenn schon alle gegangen sind, oder im Extremfall überhaupt nicht im Büro. Das eine Beispiel zeigt, dass der Kommunikation und Zusammenarbeit buchstäblich zuwenig Raum gegeben wird, das andere Beispiel, dass nicht ausreichend gut auf unterschiedliche Arbeitsszenarien eingegangen wurde.
Apple stellt derzeit die neue Firmenzentrale „Apple Park“ fertig, die 5 Milliarden gekostet haben soll. Gibt es hier neue Trends, die in ein paar Jahren auch für deutsche Unternehmen interessant werden könnten?
So eindrucksvoll Apple Park aus Architektursicht ist, ich warne davor, sich an den Ikonen allzu sehr zu orientieren. Das einzige Unternehmen, für das der Apple Campus passend ist, heißt Apple. Es geht eben nicht darum, zu kopieren, sondern seinen eigenen Weg zu gehen, seine eigene Unternehmenskultur zu interpretieren und in räumliche Strukturen zu formen.
Wenn Mitarbeiter in einem Open-Space-Office keine eigenen Schreibtische und nicht einmal mehr einen eigenen Spind haben, um persönliche Dinge und einen Laptop zu lagern, stellt sich dann nicht ganz schnell ein Gefühl der Unsicherheit und Entfremdung ein?
Wenn der Führungskraft das Eckbüro abhanden kommt, stellt sich zunächst ein wahrgenommener Statusverlust ein und die Frage, ob und wenn ja wodurch Status künftig ausgedrückt werden soll. Wenn Personalisierung wegen exibler Nutzung der Schreibtische entfällt, entsteht Heimatlosigkeit und die Frage, wie Individualisierung und Persönlichkeit anders ausgedrückt werden können. Das Gefühl des Unbehagens entsteht also nicht primär dadurch, dass etwas Bekanntes wegfällt, sondern indem unbeantwortet bleibt, was an dessen Stelle treten soll. Und das ist wiederum eine von jedem Unternehmen, jedem Projekt individuell zu bearbeitende Fragestellung.
In einer Ihrer vor kurzem veröffentlichten Studien „Implicit Office“ sprechen Sie von der „Macht der Möbel“. Könnten Sie diesen Begriff bitte näher erläutern?
Im Büro treffen sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten aufeinander: Auf der einen Seite zunehmend flexible Organisationsmodelle, agile Vorgehensweisen, im Monats- oder gar Wochentakt stattfindende Veränderungen in Aufbau und Ablauf in Unternehmen. Und auf der anderen Seite Gebäudestrukturen, die auf Jahre und Jahrzehnte ausgelegt sind. Möbel spielen zunehmend die Rolle des Getriebes, das diese beiden Dynamiken miteinander verbindet. Möbel avancieren in den vergleichsweise starren Gebäudestrukturen zu „Ermöglichern“ des Wandels – sie ermöglichen die Einteilung in Zonen genauso wie vielfältige Raumnutzung.
MÖBEL AVANCIEREN ZU ERMÖGLICHERN DES WANDELS – SIE ERMÖGLICHEN DIE EINTEILUNG IN ZONEN GENAUSO WIE VIELFÄLTIGE RAUMNUTZUNG.
Welche Materialien werden im „Office der Zukunft“ zum Einsatz kommen?
Wir sind überzeugt: Die Dynamik des Alltags und die Hektik der digitalisierten Welt nden ihren Ausgleich durch ein Mehr an Natürlichkeit. Ausgerechnet das moderne, zukunftsorientierte Büro glänzt also nicht durch zur Schau gestellte High- Tech-Artefakte und technoiden Touch, sondern durch natürliche Materialien und Gestaltungselemente. Nicht zuletzt deswegen kommt der verstärkten Nutzung von Holz wieder mehr Bedeutung zu: Der wohnliche Holzboden ist nicht nur nachhaltiger und ressourcenschonender, er erfüllt auch eine über das ästhetische hinaus reichende Wirkung.
Inwieweit ist es sinnvoll, die Mitarbeiter bei der Gestaltung ihres Büros miteinzubezie- hen?
Mitarbeitereinbindung, Transparenz, offene Kommunikation und Feedbackschleifen sind sicher erfolgsentscheidend. Der Schlüssel dabei ist, die richtigen Fragen zu stellen und genau zu wissen, welche Fragen man bewusst nicht stellt. Dem Aufspüren der eigenen Unternehmenskultur und der tatsächlichen Nutzenorientierung kommt man sicher durch enge Einbeziehung der eigenen Mitarbeiter am nächsten. In der gestalterischen Umsetzung soll der Bauherr dann gerne dem Experten vertrauen.
Wenn Arbeiten und Wohnen immer weiter miteinander verschmelzen, braucht es dann überhaupt noch eine Unterscheidung zwischen Büro- und Wohnmöbeln?
Wir erleben ja längst eine Synthese dieser beiden Nutzungswelten. Der Schreibtisch im Homeoffice war vor einiger Zeit noch der umfunktionierte Esstisch und ist heute ein höhenverstellbarer Profi-Arbeitsplatz. Und das Sofa im Büro, das rein repräsentative Funktionen hatte, wird auf dem Wege des Kommunikationstre punktes zum Wohnmöbel.
Ein Arbeitsplatz der Zukunft, wie Sie ihn beschreiben, passt zu kreativen Unternehmen. Doch passt er auch zu Banken, Anwaltskanzleien, Notaren und Consulting-Unternehmen?
Gegenfrage: Für welche Bank, welche Kanzlei, welchen Berater sind Kreativität und Innovationskraft nicht wettbewerbsentscheidend? Die Einteilung der Wirtschaft in die sogenannte Kreativbranche und die anderen ist nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Wie sieht Ihr Büro aus?
Wir verstehen das Zukunftsinstitut als einen Hafen, in dem unsere Experten immer wieder andocken, Ideen umschlagen und mit veränderter Gedankenfracht wieder aufs Meer hinausfahren. Und unsere Haltung ist geprägt von Zukunftsoptimismus. Beides erlebt man in der Gestaltung des Büros, finde ich.
Und wo haben Sie Ihre besten Ideen?
Tatsächlich recht häufig im Büro, bei scheinbar zusammenhanglosen Gesprächen mit anderen Mitarbeitern oder mit Kunden und Besuchern. Und, um der Statistik ihre Richtigkeit nicht abzusprechen: auch unter der Dusche – so wie 14 Prozent aller Menschen.
Haben Sie einen Lieblingsplatz in Wien?
Sie meinen außerhalb „meines“ Kaffeehauses? (lacht) Die Leopoldstadt, das ist ein kulturell äußerst vielfältiger Bezirk Wiens, mit viel Geschichte, viel Natur, und alles ist ein bissl unordentlich, oder schlampig, wie wir in Wien sagen würden.