Barbara Benz trifft ihren Bruder Markus Benz. Der Vorstand des Polstermöbelherstellers Walter Knoll führt durch die Gläserne Manufaktur in Herrenberg und erklärt, wie aus feinsten Materialien die begehrten Möbelklassiker entstehen.
Das Meisterprinzip
Über Qualität lässt sich lange philosophieren. Man kann sie auch fühlen. Oder riechen. Das Materiallager von Walter Knoll in der Gläsernen Manufaktur Herrenberg gleicht einer Wunderkammer für Nase und Fingerkuppen. Es duftet würzig, als wären hier Zigarren gelagert. Ein Luftbefeuchter sorgt für das perfekte Raumklima im Lederlager. Die Hand fährt indessen über große Häute, spürt winzige Unterschiede und gräbt sich in Berge von Anilinleder. Solch naturbelassene Leder, deren Pigmente nicht oberflächlich aufgetragen sind, sondern in die Tiefe der Haut gedrungen sind, sind selten. Aber nur so bleiben die Poren offen und alle Eigenheiten der Haut spürbar.
Barbara Benz weiß, worauf es ankommt bei Polstermöbeln: „Anilinleder fühlen sich warm an auf der Haut, sie altern prächtig“, sagt die Einrichtungsexpertin. Neben ihr steht ihr Bruder, Markus Benz: „Anilinleder atmet und ist geschmeidig. Es setzt jene Patina an, die aus Sofas individuelle Objekte macht, die mit der Zeit immer schöner werden.“ Seit 1993 leitet Markus Benz die Möbelmarke mit Sitz in Herrenberg, die 1865 mit einem Ledergeschäft in Stuttgart gegründet, um 1900 zum „Königlichen Hoflieferanten“ wurde und heute traditionelle Techniken mit modernster Industrie verbindet. Die beiden Geschwister spielen sich die Bälle zu. Und doch haben sie einen ganz eigenen Blick auf Möbel. Barbara Benz steht an der Front. In ihren beiden Häusern in Stuttgart und Nagold zeigt sie das Sortiment von Walter Knoll in der ganzen Breite. Die Unternehmerin kennt die Vorstellungen und Wünsche ihrer Kunden aus vielen Gesprächen. Ihr Bruder seht auf der Herstellerseite. Auch er weiß, dass die Ansprüche gestiegen und viele Kunden selbst Experten sind – zumindest Aficionados, und das scheint dem Schwaben zu gefallen. „Ein solches Möbel ist ein Statement, es besitzt Ausstrahlung und hat Wirkung auf Besitzer wie Besucher.“
Das Leder stammt von europäischen Rindern
Ob Leder oder Stoff: Jedes Stück überprüfen Mitarbeiter vor der Weiterverarbeitung auf Naturmerkmale und unschöne Stellen. Vier Lupen stehen dafür auf einem langen Präsentationstisch, vier kantige Teile, wie sie Drucker früher beim ersten Andruck verwendeten, um die Passformen der Klischees zu prüfen. In der Vergrößerung werden die Strukturen des Leders deutlich, kleine Landschaften tun sich da auf, Berge, Täler, ein Netz von Erhebungen. „Die Lupen sind eigentlich nur für unsere Kunden“, erklärt Markus Benz. „Wir prüfen noch viel genauer.“ Genauer? Noch genauer? Offenbar lässt sich die Vorstellung von High-End noch ein Stück weiterbringen.
Die alte Trias von Qualität der Produkte, meisterlicher Verarbeitung und herausragendem Design ist immer wieder neu mit Inhalt zu füllen. Walter Knoll in Herrenberg tut das. Das Leder stammt von europäischen Rindern, und es wird auch in Europa gegerbt – mit entsprechenden Auflagen für Menschen und Umwelt. Keine Rede von Importen aus Brasilien oder Übersee. Wenige Prozent der gesamten Weltproduktion kommen für ein Walter-Knoll-Produkt in Frage.
An der nächsten Station breiten zwei Mitarbeiterinnen eine Haut auf einer großen Platte aus, glätten sie. Auf einem Monitor erscheinen Schablonen – kleine abstrakte Kunstwerke. Walter Knoll fertigt mit der Losgröße eins, das heißt: Nichts geht auf Halde, und alles wird sofort verarbeitet. Ein Laser projiziert die Umrisslinien der Schnitte auf die Haut, und eine Spezialistin verschiebt diesen Vorschlag Millimeter für Millimeter. Zugleich prüft sie das Leder ein zweites Mal. Es geht um die besten Stücke und natürlich darum, möglichst wenig Verschnitt zu produzieren. Laserlinie liegt neben Laserlinie. Das erinnert fast an Cutouts von Henri Matisse. Stück für Stück wird die Haut aufgeteilt und vorbereitet für den Computerschnitt.
ANILINLEDER SETZT JENE PATINA AN, DIE AUS SOFAS INDIVIDUELLE OBJEKTE MACHT, DIE MIT DER ZEIT IMMER SCHÖNER WERDEN.
An der Signature-Naht von Walter Knoll erkennt man Qualität
Barbara und Markus Benz gehen zur nächsten Station in der Gläsernen Manufaktur. Große Nähmaschinen rattern, geführt von geschickten Händen. Die meisten Arbeitsplätze sind höhenverstellbar. Einen ganzen Ordner unterschiedlicher Kombinationen hat die Näherin im Kopf. Und wie sieht der aus? Ein unscheinbarer DIN-A4-Ordner mit Modellfolgen in Klarsichtfolien. Nur zur Sicherheit, versteht sich. Denn hier geht alles mit traumwandlerischer Sicherheit vor sich. Ein Bezug entsteht, inklusive der richtigen Mischung aus Funktions- und Ziernähten. Wie bitte? „Ja“, erklärt Barbara Benz, an der „Signature-Naht von Walter Knoll“ erkenne man Qualität. Das ist nicht etwa eine besondere Naht, sondern generell der handwerklich hohe Standard bei der Verarbeitung. Die Nadeln werden luftgekühlt, damit das erhitzte Nähgarn nicht reißt und die Einstichlöcher gleichmäßig sind im Material. Das bewirkt ein stimmiges, homogenes Nahtbild. Kein Wunder, dass Nadeln bei 300 Grad Reibungshitze regelmäßig ausgetauscht werden müssen. Ein ganzes gläsernes Gefäß steht auf einer Ablage, gefüllt mit Hunderten dieser Nadeln, denen man nicht zu nahe kommen möchte. Das sind kleine Speere, die nur unter Aufsicht verwendet werden sollten.
Manche Bezeichnungen für Nähte klingen für Laien so exotisch wie Knoten für Landratten: Biesen etwa, dünne, abgesteppte Falten, oder Keder, eine festere Verstärkung des Leders. Insgesamt gibt es ca. 30 verschiedene Arten bei Walter Knoll, Leder durch Nähte entlang einer Kante oder einer anderen Naht zu festigen und damit auch zu verzieren. Dabei entstehen manche Sondereditionen wie für Porsche oder Armani – und verrückte Sachen wie ein Modell mit Jeans-Stoff für Replay. Build to order, das sind bei Walter Knoll Maßanzüge für Hotels und Corporate-Projekte. Ein wichtiger Bereich für den High-End-Hersteller. Zwei Drittel des Umsatzes stammen aus dem Projektgeschäft. Darunter fallen Hotels, Sportstadien und die Ausstattung ganzer Unternehmen. Walter Knoll ist eben eine Architektenmarke, deren moderne Klassiker von Baumeistern wie GMP oder Lord Foster stammen und von vielen ihrer Kollegen eingesetzt werden.
Die Kantenverstärkung hält Polster in Form
„Das Geheimnis des Sitzkomforts liegt im Polsteraufbau“, sagt Markus Benz und deutet auf Weißpolster, die von der hauseigenen Vorpolsterei in Mötzingen stammen. Da wird nicht irgendein wattierter Schaumsto kern verwendet, sondern Schichten ganz unterschiedlicher Schäume mit ganz unterschiedlichen Härten, die genau für ihren Einsatz in Sofas und Polstermöbeln gedacht sind. Das Besondere bei Walter Knoll: die Kantenverstärkung. Polster sacken am Rand nicht einfach ab, sondern bleiben in Form. „Solche Feinheiten machen das i-Tüpfelchen aus“, sagt Markus Benz. Und das braucht Zeit, Hingabe und Meisterschaft.
Die Polsterer vereinen Kraft und Fingerspitzengefühl, um die Leder über das Gestell zu ziehen, und zwar so, dass jede Falte, jede Naht perfekt sitzt. Manchmal sieht es tatsächlich fast nach einem Liebesverhältnis aus, wie die Männer über die Häute streichen und die Sessel wieder in die Luft stemmen und in Form bringen. Acht Stunden dauert allein die Polsterung eines Chesterfield-gepolsterten Haussmann-Sessels. Dann steht das Modell. Und geht raus in die Welt.
„Hier wird zusammengenäht, was zusammengehört. Alles ist aufeinander abgestimmt: Leder, Stoffe, Futter, Fäden, Nähnadeln“, steht auf einem Spiegel zu lesen. Ein kleines Kunstwerk, welches den Blick kurz hinaus lenkt auf knallrote S-Bahnen, die Herrenberg in knapp 40 Minuten mit Stuttgart verbinden. Auch das ist ein Standortvorteil. Die Gläserne Manufaktur liegt direkt am Bahnhof.
ACHT STUNDEN DAUERT ALLEIN DIE POLSTERUNG EINES AUFWENDIG CHESTERFIELD- GEPOLSTERTEN HAUSSMANN- SESSELS.
Symbiose aus Tradition und moderner Fertigung
Made in Germany wird bei Walter Knoll hochgehalten. Viele kleine, oft inhabergeführte Unternehmen der Region arbeiten zusammen, veredeln Rohstoffe und schaffen zusammen Mehrwert. „Handustrie“ sagt Markus Benz dazu, eine Symbiose aus traditionellem Wissen, internationalem Vertrieb und moderner Fertigung. Für den Sohn des Möbelpioniers Rolf Benz bedeutet „Made in Germany“ nicht nur Marketing, er vertritt Werte, die dahinter aufscheinen. „Wir liefern wirtschaftskulturelle Leistung, für mich heißt das auch, dass eine gute Ausbildung die Grundlage jeglichen Handelns sein muss.“ Der Unternehmer glaubt an das „Meisterprinzip“. Das ist kein aus der Zeit gefallener Snobismus, das ist kluge Unternehmenspolitik, überliefertes Handwerk zu pflegen und als Basis einer individualisierten Fertigung zu erhalten.
Das Handwerkliche spielt natürlich mit seiner sinnlichen Seite. Sie ist ein notwendiges Gegenstück zu einer Welt, die immer auf digitale Präsenz setzt und taktile Botschaften mit eingehenden WhatsApp-Nachrichten gleichsetzt. „Handwerklichkeit und Exzellenz spielen eine große Rolle“, sagt Markus Benz und holt ein wenig aus. Jeder Trend schaffe einen Gegen-Trend. Neben der Digitalisierung gebe es den Wunsch, „etwas in Händen zu halten, das wir beherrschen.“ Die sinnliche Ausstrahlung von Leder und Stoff, Stahl und Marmor ist hier direkt zu erleben. Die Materialaffinität des Unternehmens zielt auf Menschen, die dafür empfänglich sind und „Kennerschaft“ besitzen und Wissen um den internationalen Lifestyle. Sie wissen, dass Schönheit nicht perfekte, glatte Oberflächen der Smartphone-Welt alleine umfasst, sondern Brechungen zulässt. Das meint der Unternehmer, wenn er vom Unperfekten im Perfekten spricht.
Nachvollziehbarkeit: die DNA von Walter Knoll
Was aber genau zeichnet ein Möbel von Walter Knoll aus? Die Website spricht von „außergewöhnlichen Eigenschaften“ in Qualität und Verarbeitung. Das aber würde nicht reichen. Welche DNA steckt also in ihnen? Anders ausgedrückt: Was macht aus perfekt verarbeiteten Gegenständen wirklich Dinge fürs Leben? Erstaunlich oft fallen Begriffe im Gespräch der Geschwister wie Details, Akribie, Hingabe und Bearbeitung sowie „Kunst der Veredelung.“ Da muss Markus Benz schmunzeln: „Wir stehen für die Nachvollziehbarkeit von Produkten, sie folgen einer Logik, sind nie beliebig.“ Das ist es. Nachvollziehbarkeit ist nicht das Gegenteil einer technischen Zweckform, und sie verzichtet auch nicht auf Ergonomie und Komfort. Aber sie schlägt eine Brücke zum Händischen, zum unmittelbaren Erleben. Vielleicht ist es das, was Walter Knoll so besonders macht. Das Erlebnis, etwas zu erwerben, das mit einem wächst und altert, Geschichten in Leder prägt und auch mal eine Narbe und eine Falte verträgt. Weil es mit jedem Tag ein Stück mehr Teil von einem selbst wird.
Die Gläserne Manufaktur: nichts zu verbergen
Es gibt dieses gute Gefühl, wenn Proportionen stimmen und Materialien, wenn der Entwurf souverän im Raum steht. Das gilt für Design wie für Architektur – zwei Spielarten dreidimensionaler Gestaltung, die sich im besten Sinne bedingen und wechselseitig steigern. Dieses Gefühl stellt sich sofort ein, wenn man die Gläserne Manufaktur betritt, die 2006 am Bahnhof Herrenberg entstand. Architekt Hansulrich Benz entwarf das viergeschossige Haus als kombiniertes Fertigungs- und Präsentationsgebäude. In der 50 Meter langen und 16 Meter hohen Fassade spiegelt sich der Bahnhof. Bewegung und Ruhe, einfache Form und kluge Proportionen nden in dem Haus zusammen. Seine Organisation ist so einfach wie einleuchtend: Im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss befinden sich Näherei und Polsterei. Darüber liegen Büros und Showroom. Was unten entsteht, kann oben gleich präsentiert werden – und alles gehört zusammen. Natürlich ist das ein Stück Corporate Architecture, das gebaute Erscheinungsbild einer Firma, die sich auf Hochklassiges versteht. Die offenen, beinahe stützenfreien Räume strahlen Ruhe aus. Zwei Materialien prägen das Haus – Glas und Sichtbeton, konsequent durchgehalten bis hin zu den Waschtischen der Toiletten. Konsequente Architektur für ein klares Erscheinungsbild. „Wir haben nichts zu verbergen“ könnte am Eingang stehen. Das tut es natürlich nicht. Besucher verstehen das sofort.
Besucher sind herzlich willkommen
Architekten und Händler besuchen die Gläserne Manufaktur in Herrenberg regelmäßig. Aber auch Endkunden, die das gesamte Sortiment erleben wollen. Vereinbaren Sie einfach einen Termin bei architare, telefonisch: +49 7452 / 8475080 oder per E-Mail: info@architare.de