Mauro Lipparini begann seine Karriere vor über 30 Jahren und ist heute einer der führenden Designer Italiens. Aktuell arbeitet er an einem neuen Projekt mit der deutschen Traditionsfirma Walter Knoll. Barbara Benz wollte es genauer wissen und traf sich mit ihm zum Gespräch.
Design (r)evolution
Erinnern Sie sich noch an das erste Produkt, das Sie designt haben?
Mein erster erfolgreicher Entwurf war das Sofa „Blazer“. Ein ganz schlichtes Sofa. Das wichtigste Produkt für mich und meine Entwicklung war allerdings das „Avedon“-Sofa, das ich 1986 für Saporini designt habe. Es steht bis heute in meinem Haus.
Das war also Ihr Durchbruch?
Ja. Das war ein fantastischer Erfolg und eine fantastische Zeit für mich. Ich war voller Energie, die Ereignisse haben sich förmlich überschlagen und es gab so viel Neues zu entdecken. Energie habe ich zwar heute immer noch, aber die Abläufe sind organi- sierter. Ich weiß, was als nächstes passiert. Damals war alles eine Überraschung: die Beziehungen zu den Kunden, wie man dieses oder jenes Problem bei einem Prototypen löst... Ein großes Abenteuer!
Wie sieht Ihr Designprozess aus?
Im Studio benutze ich nur Stift, Papier und Schere. Ich zeichne alle meine Entwürfe von Hand. Bei diesem kreativen Prozess arbeite ich nicht gerne mit dem Computer. Wenn ich mit der Skizze zufrieden bin, gebe ich sie meinen Assistenten, die dann 3D-Grafiken und eine fotorealistische Visualisierung mit den entsprechenden Materialien erstellen. Diesen Teil mag ich allerdings nicht so gerne.
Warum?
Zu diesem Zeitpunkt ist der fantasievolle Teil der Arbeit schon vorbei. Während man zeichnet, ist man involviert, brütet über den Entwürfen, steckt sein Herzblut hinein. Am Computer wird diese Fantasie dann Realität, aber der eigentliche kreative Prozess ist bereits abgeschlossen.
Wenn Sie heute ein Produkt entwerfen, beginnt für Sie alles immer noch mit einem Geistesblitz oder kommen die Impulse von den Auftraggebern?
Das ist unterschiedlich. Wenn ich schon länger mit einem Hersteller zusammenarbeite, kommt die Idee meistens von mir. Manchmal kommt ein Unternehmen aber auch auf mich zu und sagt: „Oh, Mauro, wir bräuchten dieses oder jenes Produkt, weil uns so etwas noch in unserem Sortiment fehlt.“ Und dann setzen wir dort an.
FÜR MICH IST DESIGN IMMER EINE ART KONFLIKT, ICH MAG NICHT NUR DAS EINE ODER DAS ANDERE, SONDERN VERSUCHE VERSCHIEDENE EINFLÜSSE ZU MISCHEN.
Woran arbeiten Sie im Moment?
Gerade entwickele ich einen neuen Armlehnensessel für Walter Knoll.
Wie gehen Sie an einen solchen Auftrag heran? Warten Sie einfach auf die zündende Idee oder ist der Prozess harte Arbeit?
Da ich schon sehr lange als Designer arbeite, habe ich natürlich ein großes Hintergrundwissen und kenne viele Produkte, die es bereits auf dem Markt gibt. Wenn wir im Studio ein neues Produkt entwickeln, können wir das nicht ignorieren, sondern überlegen uns: „Okay, es gibt schon den und den und den Armlehnsessel – wie können wir jetzt etwas wirklich anderes, neues machen?“ Das ist Teil unserer Strategie, um ein Projekt ins Rollen zu bringen. Nachdem wir analysiert haben, welche Produkte es bereits gibt, fragen wir uns, welche Schwachstellen es bei ihnen gibt. Und es gibt immer welche. Diese Probleme versuchen wir dann zu lösen.
Was ist das Besondere an diesem Sessel?
Bei fast allen Sesseln, bei denen man die Rückenlehne in eine Liegeposition zurückklappen kann, stimmt die Position der Armlehnen nicht mehr, sobald man nicht mehr aufrecht sitzt. Die Arme wandern nach hinten, während die Lehnen vorne bleiben. Also habe ich mich gefragt, wie man die Lehnen nach hinten verlängern kann. Während ich überlege, fange ich an zu zeichnen, meist ergibt sich dann sofort eine bestimmte Linie, danach füge ich dieses und jenes hinzu, bis alles zusammenpasst. Ein bisschen wie ein Dirigent in einem Orchester. So entstand die elliptische Form der Lehnen bei meinem Sessel.
Woran erkennt man ein typisches Lipparini-Design?
Für mich ist Design immer eine Art Konflikt. Ich mag nicht nur das eine oder das andere, sondern versuche verschiedene Einflüsse zu mischen. Wahrscheinlich könnte man aber sagen, dass zwei Dinge für mein Design typisch sind: organische Formen und ein gewisser Minimalismus. Der neue Armlehnsessel beispielsweise hat eine ganz natürliche Form, die an eine Tulpe erinnert. Gleichzeitig versuche ich immer, mich bei meinem Design auf das Nötige zu beschränken, ohne viel Schnickschnack. Mein Motto ist nicht unbedingt weniger ist mehr, aber... Die Balance ist wichtig.
Wie gehen Sie an einen solchen Auftrag heran? Warten Sie einfach auf die zündende Idee oder ist der Prozess harte Arbeit?
Wie unterscheidet sich der Entwicklungsprozess eines Produkts mit einem Hersteller wie Walter Knoll von dem mit anderen Unternehmen?
Jedes Unternehmen ist unterschiedlich. Gleichzeitig spielt es auch eine Rolle, ob ein Unternehmen italienisch, deutsch oder japanisch ist. Wie ein Prozess abläuft, ist meist ganz typisch für die Eigenschaften, die man mit den Bewohnern des jeweiligen Landes verbindet. In Italien geht es beispielsweise immer etwas durcheinander zu. Der Ablauf an sich funktioniert perfekt, aber es gibt ein kreatives Chaos, in dem man sich zurechtfinden muss. Bei einer deutschen Firma wie Walter Knoll verläuft alles streng nach Plan, ganz langsam, ein Schritt nach dem anderen ohne Abkürzungen.
Sie leben derzeit in Florenz. Inspiriert Sie diese historische Stadt mit ihrer künstlerischen Vergangenheit?
Ein bisschen vielleicht. Die Architektur, die Farben... Florenz ist eine schöne Stadt. Aber ich denke die wichtigsten Inspirationen sammle ich auf Reisen. Ich bin viel unterwegs und sauge alle Eindrücke auf wie ein Schwamm. Ich versuche jeden Tag etwas neues zu lernen. Das hält mich jung.
Gibt es einen Ort, der Sie im Moment besonders begeistert?
Meine Lieblingsstadt ist New York. Aber ehrlich gesagt kann es ziemlich stressig sein, dort zu leben. Darum mag ich Tokio so gern. Obwohl es eine riesige, internationale Metropole mit über 9 Millionen Einwohnern ist, fühlt man sich in den einzelnen Vierteln als wäre man Teil einer eigenen kleinen Gemeinschaft. Wie in einem Dorf. Und jedes Viertel ist völlig unterschiedlich! Wenn man in Roppongi ist, ist man nicht in Tokio, sondern in Roppongi. Wenn man in Shibuya ist, ist man in Shibuya – und alles ist wieder ganz anders.
Mögen Sie auch japanisches Essen?
Ja! Die Kunst, das Essen... Besonders toll finde ich diese kleinen Lokale, in die nur fünf bis zehn Leute hineinpassen und in denen man für wenig Geld fantastische Nudeln bekommt.
IM STUDIO BENUTZE ICH
NUR STIFT, PAPIER UND SCHERE. ICH ZEICHNE ALLE MEINE ENTWÜRFE VON HAND
Und wohin gehen Sie in Florenz, wenn Sie mal keine Lust haben zu kochen?
Ins Cibrèo. Hier gibt es typisch toskanische, gehobene Küche.
Letzte Worte zum Abschluss?
Ich schätze mich wirklich glücklich, heute genau das tun zu können, was ich machen wollte, als ich jung war. Ich kann nicht sagen, dass ich jeden Tag von früh bis spät immer nur zufrieden bin. Aber ich bin so zufrieden wie man es eben sein kann.
Haben Sie einen Rat für angehende Designer, die das alles noch vor sich haben?
Ich denke, dass es für junge Designer heute ganz anders ist als noch vor 30, 40 Jahren, deshalb kann ich ihnen da nicht viel raten. Was ich aber jedem empfehlen kann, ist: Verbringt nicht so viel Zeit auf Facebook! Investiert lieber mehr Zeit in das wahre Leben. Das ist bei weitem interessanter.
STUDIO LIPPARINI
Mitten in Florenz, in der Viale Petrarca, befindet sich das Studio Lipparini, eines der renommiertesten Designstudios Italiens. Im ersten Stock verbirgt sich zwischen decken- hohen Palmen und Bambusgewächsen das grüne Studiolo von Mauro Lipparini – ein ruhiger Ort für kreative Prozesse und doch inmitten des Geschehens. In der Bottega im Erdgeschoss tragen die aus allen Ecken Italiens stammenden Mitglieder seines Teams mit viel Feingefühl dazu bei, seine Ideen zum Leben zu erwecken – vom einzelnen Möbelstück bis hin zum Interior und Exterior eindrucksvoller Hochhäuser.