Tom & Luke - London Calling: Zu Besuch bei Pearson & Lloyd

Seit mehr als 20 Jahren bereichern Tom Lloyd (*1968) und Luke Pearson (*1967) die britische Design-szene. Beide studierten am Londoner Royal College of Art, wo sie heute als Gastdozenten unterrichten. Neben ihrem Kernthema, dem Möbel- und Produkt-Design, haben sich Pearson Lloyd vor allem auf Projekte des öffentlichen Lebens spezialisiert: So entwarfen sie für die City von Westminster eine neue Straßenbeleuchtung, für Bath und Sheffield städtische Informations- und Leitsysteme und entwickeln immer wieder Produkte und Konzepte für Fluggesellschaften, Office-Ausstatter oder für das Gesundheitswesen.

Zu ihren Kunden zählen so renommierte Firmen wie Artemide, Bene, Classicon, Fritz Hansen, Walter Knoll, Poltrona Frau und Virgin Airlines. Seit 2012 fliegen auch Kunden der Lufthansa-747-8i-Flotte in einer von PearsonLloyd gestalteten Business Class. Mit über 70 Auszeichnungen, darunter so prominente Titel wie ‚Royal Designers for Industry‘ der Royal Society of Arts, gehören Tom Lloyd und Luke Pearson zu den höchstdotierten Designern der Insel.

Seit 2012 zählen die beiden kreativen Köpfe außerdem laut Fast Co. Magazine, New York, zu den Top-50-Designern, die die Zukunft gestalten. Barbara Benz war neugierig, wie diese wohl aussieht und besuchte das Designer- Duo in ihrem Studio im Londoner Stadtteil Shoreditch. Lloyd: Ja, auf jeden Fall. Hier findet man alle Disziplinen: Mode-, Grafik- und natürlich Industrial-Design. Das ist beinahe ironisch, da Großbritannien und insbesondere London eigentlich keine Industrie haben. Pearson:

London ist eine der wenigen Städte, die Politik, Finanzen und Kreativität in sich vereinen

Meist sind diese Bereiche getrennt, nehmen Sie Barcelona und Madrid oder Frankfurt und Berlin. Hier in London liegen Financial District und kreativer Hotspot dicht beieinander und beeinflussen sich gegenseitig – im Positiven.

City Information System in Bath
City Information System in Bath

Ist es dafür förderlich, dass London eine gute Design- Universität hat?

Ja und nein. Viele kehren nach dem Studium in ihr Land zurück und nehmen ihr Wissen mit. Das hilft uns also langfristig gesehen nicht wirklich. Auf der anderen Seite gründen immer mehr Studenten kleine Start-Ups, weil sie unabhängig arbeiten und ihre eigenen Ideen verwirklichen wollen. London ist ein großer Magnet für junge Talente. Diese globale Vielfalt und Energie spürt man ganz deutlich in dieser Stadt. Auch unsere Kunden lieben es, nach London zu kommen und unser Design-Studio zu sehen.

Was unterscheidet PearsonLloyd von anderen Designstudios?

Als wir uns vor 23 Jahren trafen, hatten wir ein gemeinsames Ziel:

Wir wollten interdisziplinär arbeiten

Vor allem in den 1980er-Jahren war es nicht üblich, dass ein Produkt- Designer auch Möbel entwirft. Produkt-, Möbel- und Mode- Design waren strikt getrennt. Wir wollten die verschiedenen Disziplinen in unserer Arbeit vereinen, da es dies so in England noch nicht gab …

Woran erkennt man den Pearson-Lloyd-Stil?

Das hängt ganz von der Art des Projektes ab.

Wenn wir beispielsweise am Design einer Airline arbeiten, sind wir an viele Vorgaben gebunden. In diesem Fall ist es schwer, eine Handschrift zu hinterlassen. In erster Linie geht es uns darum, elegante Lösungen zu finden. Details sind dabei entscheidend. Ich denke, man sieht unseren Produkten an, wie viel Zeit wir in Details investieren.

Was inspiriert Sie?

Lloyd: Alles. Aber man muss sich Zeit nehmen. Wenn ich manchmal sehr viel arbeite, vergesse ich zu schauen und nach neuen Inspirationen zu suchen. Gestern lief ich zu Fuß durch London von Southwark nach Picadilly. Das war wirklich eine der besten Stunden, die ich seit Langem hatte. Ich habe viele Fotos gemacht und einfach die Stadt absorbiert. Am National Theater vorbei ging ich über die Hungerford Bridge. Ich bin diese Strecke schon oft gelaufen, aber dieses Mal habe ich mich auf die Skateboarder konzentriert. Einige von ihnen liefen mit kaputten Boards zur Themse hinab. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass dort an einem Steg ungefähr 200 defekte Skateboards lagen. Es sah aus wie eine Skulptur. Offensichtlich ist es ein Ritual für die Skateboardfahrer, ihr Brett dort zu entsorgen.

Pearson: „Kopf hoch”, hat mein Vater als Kind zu mir gesagt, wenn wir gemeinsam durch die Stadt gegangen sind. Diesen simplen Rat versuche ich bis heute zu befolgen. Die meisten Menschen, die durch London laufen, blicken sich gegenseitig an oder auf den Boden. Wenn man aber wirklich einmal hochschaut, entdeckt man wie das Sonnenlicht, das Wolkenbild oder vorbeifliegende Vögel den Blick auf ein Gebäude verändern können. Man erkennt neue Strukturen, neue Linien und vieles mehr.

Welches ist Ihr Lieblingsmaterial?

Das nächste Material! Es gibt immer neue und andere Materialien. Ich liebe meinen Beruf, weil jedes Projekt anders ist. Auch unser Lieblingsprojekt ist das, welches wir als nächstes beginnen. Es ist wie im Garten: Die Blume, die man gerade gepflanzt hat, ist immer die aufregendste.

Welche Materialien könnten in 15-20 Jahren benutzt werden?

Schwer zu sagen. Schon heute steht uns eine Vielzahl an unterschiedlichsten Materialien zur Verfügung, doch meist entscheidet der Preis. Holz und Leder zählen für mich noch immer zu den besten Materialien. Verglichen mit Kunststoff oder Aluminium hat der Mensch eine Beziehung zu ihnen.

Business Class Lufthansa
Business Class Lufthansa
Kunst in der Stadt
Kunst in der Stadt

Wie könnte das Büro der Zukunft aussehen?

Lloyd: Das kommt auf die Art der Arbeit an – und wie sich die Technologien weiterentwickeln werden. Früher brauchte man aufgrund der Größe und Tiefe von Computerbildschirmen L- oder X-förmige Tische. Heutzutage werden nicht einmal mehr die Hälfte davon verwendet. Tablets, Laptops und Mini-PCs haben unseren Arbeitsplatz verändert. Wir sind besser vernetzt und können einen Großteil via E-Mail oder Skype Konferenzen erledigen. Somit spielt die physische Anwesenheit in vielen Bereichen der Wirtschaft nur noch eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig wächst die Bedeutung des Homeoffice. In den USA wird geschätzt, dass bis 2020 die Hälfte der Arbeitnehmer selbstständig sein werden.

Statt Einzelbüros für Ingenieure und Mathematiker braucht diese neue Arbeitsgesellschaft vielleicht eher Orte oder Räume, in denen sie zusammenkommt und Ideen teilen kann. Diese ‚Business Lounges‘ könnten auch von Firmen geteilt werden. Während die alte Generation noch an bewährten Strukturen wie „Nine to Five” festhält, hat die neue Generation bereits ein anderes Verhältnis zur Arbeit und wie man arbeitet. Pearson: Nachhaltigkeit wird immer wichtiger werden, denn nachhaltig zu wirtschaften, hat keine Nachteile. In vielen Menschen wächst außerdem die Verbundenheit zur Natur. So werden Pflanzen und grüne Oasen in Städten und Büros zukünftig mehr geschätzt werden.

Healey Lounge von Walter Knoll
Healey Lounge von Walter Knoll

Wie entsteht ein Trend, wenn alle Designer angeben, selbstständig und individuell zu arbeiten?

Im Grunde sind wir Produkt- und Möbel-Designer arroganter als zum Beispiel Fashiondesigner. In der Mode wird mehr oder weniger festgelegt, dass in einer Saison z.B. grelle Farben im Vordergrund stehen. Also setzen alle großen Mode- Labels auf grelle Farben. Produkt- und Möbel-Designer dagegen denken immer, sie erfinden etwas komplett Neues. Aber das ist eine Lüge, denn wir alle sind von Geschichte und medialen Einflüssen geprägt. Wir alle folgen “Trends”, speziell wenn wir an kommerziell ausgerichteten Projekten arbeiten, müssen wir ihnen sogar folgen.

Trends entstehen überraschend.

Kein Drehbuchschreiber oder Regisseur kann planen, einen Kultfilm zu kreieren, erst die Zuschauer erheben ihn zu einem solchen.

Lloyd, Pearson und Barbara Benz
Lloyd, Pearson und Barbara Benz

Photos ©
Mark Cocksedge
Ted Reeve
Lufthansa
Emil Benz

 
Mehr Inspiration, mehr Interviews – architare magazin

Hier das gedruckte Heft bestellen info@architare.de
oder als pdf runterladen

nach oben