Mailand ist immer eine Reise wert. Das gilt für Mode- und Designfreaks sowie Freunde italienischer Kultur und Lebensart. Während täglich Hunderte von begeisterten Besuchern in die Stadt strömen, sind die Mailänder froh, wenn sie der Provinzhauptstadt in ihrer Freizeit den Rücken kehren können. Der Grund: Die Stadt bietet zu wenig Erholungswert – noch. Die dichte Bebauung der City öffnet sich bislang an nur wenigen Stellen zu Grünflächen und öffentlichen Plätzen.
Green City
Das soll zukünftig anders werden – so sehen esdie Pläne von Kipar Landschaftsarchitekten vor. Seit Andreas Kipar 1984 als Landschaftsplaner in die Stadt kam, hilft er, die Designmetropole mittels wachsender Grünflächen attraktiver zu machen. Wenn es nach ihm ginge, müssten wir viel öfter zu Fuß gehen. Denn auf Spaziergängen durch die Heimatstadt entdeckt man, wie viel Lebensqualität direkt vor der Haustüre, im eigenen Viertel steckt.
Qualität, das bedeutet für Kipar Fußwege für Jung und Alt, lichte Straßenzüge und schattige Plätze, der Duft von Bäumen und Sträuchern, kurz eine vernünftige Verbindung von Natur und Kultur. Davon hatte Mailand bis vor wenigen Jahren nicht viel. Der historische Stadtkern ist eng bebaut, auf einem Quadratkilometer leben rund 8.000 Menschen.
Zum Vergleich: In München sind es mit 4.000 gerade mal halb so viele Einwohner auf einer vergleichbaren Fläche, in Berlin sogar nur 2.500. Höchste Zeit also, etwas zu unternehmen. 2003 setzten sich Kipar und einige Stadtplaner zusammen und entwickelten eine Strategie, die auch in anderen Städten Schule machen könnte.
Der Masterplan sieht vor, das bestehende Grün Mailands zu vernetzen und weiterzuentwickeln, um die Stadt mit einem Netz aus Fuß- und Radwanderwegen zu durchziehen. Dessen Verlauf orientiert sich an acht „grünen Strahlen“, die vom historischen Stadtkern radial in alle Himmelsrichtungen der umliegenden Vorstadtbezirke reichen. Gekreuzt werden sie von einem 72 Kilometer langen Grüngürtel, der die Designmetropole wie eine parkähnliche Corona umschließt.
Brachliegende Flächen zur Begrünung gibt es in Mailand genug. Die Spuren der industriellen Tradition im Autobau und und in der Großindustrie Mailands sind noch deutlich zu erkennen. Alfa Romeo, Fiat, Maserati und der Reifen- und Kabelhersteller Pirelli waren über Jahrzehnte Arbeitgeber in der zweitgrößten Stadt Italiens und prägten das Stadtbild nachhaltig, zurück blieben riesige Industriebrachen. Zur Expo 2015 sollte das ehrgeizige Projekt der „Raggi Verdi“ fertiggestellt sein. Doch daraus wird vermutlich leider noch nichts. Trotzdem, Andreas Kipar und seine Kollegen vom Büro LAND geben nicht auf.
Sie sind so eine Art Supervisor, die sich seither um die konsequente Rückführung der urbanen Räume in eine grüne Erlebniswelt kümmern
Entscheidend ist dabei, die bereits bestehenden Grünflächen mit den ehemaligen Industrieanlagen, die nun begrünt werden, zu vernetzen. Bypässe nennt Kipar diese wertvollen Lebensadern.
Ob Frankfurt, Moskau, Paris, oder Mailand – viele Städte haben das gleiche Problem: Sie sind wie ein alter Organismus. Mithilfe der Bypässe kehrt lebenswichtige Energie in die Stadtviertel zurück. Zur Steigerung der Lebensqualität kommt außerdem eine Wertsteigerung des alten Baubestands. Um seine Vision zu realisieren, braucht Kipar einen langen Atem – und viel frische Luft. Er hofft auf Unterstützung aus Kunst und Kultur, aber auch aus der Bevölkerung.
Einige tatkräftige Helfer hatte die Raggi-Verdi-Initiative bereits im Vorfeld: Um sich ein Bild von der tatsächlichen Situation in den Stadtvierteln machen zu können, rekrutierten die Planer ein Team von pensionierten Olivetti-Ingenieuren. Die ehrenwerten Herren erkundeten ihre Stadt auf eine ganz neue Weise, berichteten über finstere Gassen, Schmuddelecken, störende Mauern und mangelnde Fußgängerführung. Gleichzeitig entdeckten sie auf ihren Spaziergängen aber auch wunderbare Plätze, Häuserzeilen und kleine Blumenläden, die ihnen noch nie zuvor aufgefallen waren, schattenspendende Bäume und vergessene Kanäle. All ihre positiven und negativen Erfahrungen notierten die Senioren in Tagebüchern, die Kipar und seine Kollegen im Anschluss auswerteten.
Inzwischen hat sich viel getan. Seit 2003 wurden 40.000 neue Bäume gepflanzt und die ersten grünen Adern ziehen sich bereits sichtbar durch die Stadt. Es ist „LAND“ in Sicht. So auch an der Porta Nuova: Nur wenige Hundert Meter nördlich von Kipars Büro entdeckt man rund um den neuen, gläsernen Hochhaustower der Unicredit-Bank einen seiner grünen Etappensiege. „
Ein solches Projekt ist nie abgeschlossen
sagt der Landschaftsarchitekt. Wie wahr. Lassen Sie uns einen Spaziergang machen!
Photos: ©
Andreas Kipar
Barbara Benz